Medienpsychologie - quo vadis?

Reminiszenzen an die Lammgasse und Verortung der kognitiv-physiologischen Rezeptionsforschung innerhalb der Kommunikationswissenschaft

Ansprache von Univ.-Prof. Dr. Jürgen Grimm:

Als ich 2003 meinen Dienst als Professor für Kommunikationswissenschaft in Wien mit dem Auftrag antrat, die Methodenentwicklung und  ausbildung am IPKW voranzutreiben, gab mir der damalige Institutsvorstand, Prof. Langenbucher, mit auf den Weg, mich vor dem künftigen Kollegen Vitouch in der Lammgasse in acht zu nehmen. Er sei bekannt als methodisch kompetent, aber auch als hoch kompetitiv und ein wenig eitel.

Ich fand schnell heraus, dass die Eitelkeit kein besonderes personales Merkmal von Peter Vitouch war, vielmehr die Kultur des Instituts insgesamt – mit dem Vorstand an der Spitze – prägte.

Und die Methodenkompetenz des Kollegen Vitouch kam mir gerade recht angesichts der Größe der Herausforderung. Das Institut, in der Nazi-Zeit gegrün-det und ideologisch schwer belastet, betonte nach dem Krieg anti-faschistische Einstellungen und die Kritik am Nationalsozialismus. Zudem rückten ideologisch unverdächtige Anwendungsbereiche wie PR und Werbung in den Vordergrund, wie eine Ausstellung zur Institutsgeschichte unter der Ägide von Wolfgang Duchkowitsch unlängst eindrucksvoll belegte. Der Weg von der ideologischen Kaderschmiede zur Wissenschaft (man könnte auch sagen: die Verwissenschaftlichung des Faches) lässt sich jedoch nicht vollenden ohne eine zusätzliche Komponente, nämlich: die Empirisierung der KW. Es genügt eben nicht eine ideologische Position durch die andere zu ersetzen. Wie entgehe ich erneuter ideologischer Vereinnahmung, diesmal vielleicht durch Sonderinteressen einzelner sozialer Gruppen oder ökonomischer Machteliten? Diesbezüglich bieten weder Faschismuskritik noch theorieferner Praktizismus eine hinreichende Gewähr für wissenschaftliche Qualität. 

Auch die „Publizistik“ zu einer Werkstatt für selbstgenügsame „Theorie-Konstruktionen“ zu erklären, stellt keine Alternative dar, da so das Problem theoretischer Beliebigkeit nicht gelöst werden kann. In der Nacht des „radikalen Konstruktivismus“ sind alle Katzen grau. Die kritische Attitüde ist sicher notwendig, aber eben nicht ausreichend. Wir benötigen mit den Worten des in Wien geborenen Wissenschaftstheoretikers, Karl Popper, ein kritisches Prüfkriterium außerhalb der Forschersubjekte mit ihren persönlichen Vorlieben und ideologischen Verformungen. Und dieses bietet nur nomologisch orientierte und auf Falsifikation ausgerichtete empirische Sozialforschung. 

Die methodisch kontrollierte, intersubjektiv nachvollziehbare Empirie selbst ist also das kritische Prüfkriterium, an dem sich theoretische Entwürfe messen lassen müssen und das Zuwächse an Wissen in der Scientific Community ermöglichen. Der kritische Dialog unter Kollegen ohne empirisches Kriterium tendiert demgegenüber zum bloßen Austausch von Meinungen ohne Aussicht auf intersubjektiven Erkenntnisfort-schritt. In der nomologischen Kausalanalyse liegt auch das gesuchte Missing Link zwischen wissenschaftlicher Forschung und praktischer Anwendung. Bereits der Philosoph Francis Bacon wusste um 1620 (Francis Bacon: novum organum, Neues Organon), dass derjenige, der in der Lage ist, die kausalen Zusammenhänge in der Welt zu durchschauen, diese für kalkulierende Handlungsentwürfe nutzen kann. Rationales Handeln ist angewandte Kausalität.

Diesbezüglich war Peter Vitouch in Wien und darüber hinaus in mehrerlei Hinsicht richtungsweisend: 

1) So führte er konsequent auf dem Gebiet experimenteller Medienwirkungsforschung die Kausalanalyse im Sinne nomologischer Wissenschaft ein: Hypothesenaufstellung, Gesetzesaussagen, kritische Prüfung derselben.

2) Er berücksichtigte dabei von Beginn an reflexive Wirkungsprozesse und vermied einfache linear-analoge Wirkungsannahmen. Damit gewann die Kausalanalyse an Überzeugungskraft und Durchsetzungsstärke. Nicht zuletzt wurde sie vor Simplifizierung bewahrt und auch für emanzipatorische (nicht-manipulatorische) Medienanwendungen geöffnet. Während die meisten Kollegen in den 60er bis 90er Jahren des letzten Jahrhunderts mit mechanischen Transfermodellen operierten, denen zufolge der Medieninhalt die Richtung der Medienwirkung bestimme (Motto: viele Leichen im Fernsehen erzeugen ängstliche Weltbilder), stellte Vitouch die Frage: Was trägt das Fernsehen zur Angstbewältigung bei? 
Die „Medienwirkung“ schließt in diesem Verständnis eine aktive Antwort des Rezipienten mit ein – und die ist nie identisch und selten strukturanalog zu den Darstellungsinhalten. Die Wirkung der Mediennutzung liegt nur in Ausnahmefällen in einer direkten Übernahme medialer Realitätskonstruktionen in das Weltbild oder (im Falle der Darstellung von Handlungsmodellen) in das Handlungs-Repertoire für die außermediale Welt.

So können etwa mediale Bedrohungsszenarien zu einer freiheitsstärkenden Emotionskontrolle führen oder die Abgrenzung von negativ akzentuierten Handlungsmodellen im Fernsehen evoziert im Rezipienten ein entsprechendes Vermeidungsverhalten. Die Reflexivität des Medienwirkungsprozesses ermöglicht dem Rezipienten eine verbesserte Anpassung der Gefühle an reale Lebenssituationen bzw. trägt zur Orientierung und Problemlösung im Alltag und in der Politik bei. Das ist freilich kein Selbstläufer, sondern bedarf der empirischen Überprüfung durch experimentelle Kausalanalysen unter diversen Ausgangsbedingungen, definiert durch Kommunikat, Person und Kontext.

3) Schließlich hat Vitouch die naturwissenschaftliche Fundierung von Rezeptionsverläufen durch physiologische Messungen vorangetrieben, und ihr wesentliche Impulse verliehen. Hautleitfähigkeit, Herzfrequenz und EEG liefern robustere Daten als die Selbstauskünfte von Befragungspersonen in der klassischen Umfrageforschung, wo bekanntlich „soziale Erwünschtheit“ und andere Subjekteinflüsse intervenieren. Von der Subjektivität freihändiger Theoriekonstruktionen wollen wir hier gar nicht reden. Sie sind der denkbar größte Antipode kritisch-rationaler empirischer Analyse mit der robusten kognitiv-physiologischen Medienrezeptionsforschung an der Spitze. 
Die Messung physiologischer Kommunikat-Effekte kann außerdem als zusätzliche und – wie ich meine – unverzichtbare Komponenten bei der Theorienbildung genutzt werden. Denn Medienwirkungsanalysen ohne Berücksichtigung emotionaler und physiologischer Prozesse sind notwendig defizitär. Manche Forscher kritisieren, dass eine allgemeine Kommunikationstheorie bis heute fehle. Vielleicht liegt eine der Gründe hierfür in der systematischen Vernachlässigung der Physiologie durch den Mainstream des Faches. 

In den 90er Jahren fanden, teilweise zeitgleich mit Peter Vitouchs physiologischen Rezeptionsmessungen, in Mannheim Forschungen zur Wirkung medialer Gewaltdarstellungen mit SCL- und Herzfrequenzanalysen statt, an denen ich selbst mitwirken durfte. Die Universität Mannheim war außerdem immer schon eine Hochburg des Kritischen Rationalismus, der in der Spur Karl Poppers, von Hans Albert ventiliert, Empirie als Falsifikationskriterium für Theorien auffasste und mit ZUMA (Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen) die zugehörige und damals führende Einrichtung für Methodenberatung und Methodenentwicklung in Deutschland unterhielt. Und so trafen sich 2003 in der Lammgasse 8 die vermutlich einzigen Kommunikationsforscher in Europa, die in der Medienrezeptionsforschung physiologische Verfahren mit herkömmlichen verbalsprachlichen Methoden kombinierten und deren Wissenschaftsverständnis popperianisch war.

Als dann noch klar wurde, dass wir neben den Forschungsinteressen auch die Vorliebe für Karl May teilten, war ausgeschlossen, dass jeder eine insuläre Einheit bildet und daraus dann ein Hauen- und Stechen entsteht. Solche Kindereien ließen wir hinter uns, obwohl im gleichen Haus – für alle Fälle – mit dem Kinderbüro eine Zufluchtsstätte fürs Infantile bereitgestanden hätte.   

Wir wurden – wenn ich das salopp und zugleich pathetisch sagen darf – zu „Blutsbrüdern“, die an ein- und demselben Empirisierungs-Strang der KW zogen. Wir einigten uns auf den Aufbau eines Methodenforums und starteten eine methodologische Ausbildungsoffensive. Auch die Forschung wurde koordiniert in Richtung Kriegs- und Krisenkommunikation. 

Eine internationale Konferenz mit ersten Ergebnissen aus Lammgassen-Rezeptionsforschung und zusätzlich angereichert durch eine von Roland Burkart geleitete Umfrage zu den Erfahrungen von Journalisten mit Kriegsberichten fand dann am 29.11.2005 im Siemens-Forum in Wien statt. Der Veranstaltungstitel reflektiert die Bezugnahme auf psychologische, ethische und kommunikationspraktische Fragestellungen: „Opfer in den Medien - Opfer der Medien? Empirische Befunde zum europäischen Kriegs- und Krisenjournalismus.“ 

Die Bedeutung der Konferenz erscheint mir rückblickend vor allem darin zu liegen, dass hier ein Paradigma geschaffen wurde, wie der Verwissenschaftlichungsprozess der KW in einer Dreiecksbeziehung aus Empirie, humanethischer Grundorientierung und gesellschaftlicher Praxis-Relevanz vollendet werden kann. Das ist dann schon mehr als nur die Deklaration einer antifaschistischen Grundhaltung im notwendig kritischen Rückblick der Fachgeschichte. Es ist auch mehr als die Aufstellung von PR-Regeln für den praktischen Gebrauch oder die Optimierung persuasiver Kommunikationsstrategien im Sinne der Verkaufsförderung. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich betonen, dass der Beitrag von Roland Burkart in diesem Zusammenhang sehr weitreichend ist. Sein Konzept der „verständigungsorientierten PR“ ist weit breit der einzige Ansatz, der dem Anspruch einer Theorie menschlicher Kommunikation annäherungsweise gerecht wird. 

Menschen sind soziale Wesen. Kommunikation stützt ihre Kooperationsfähigkeit, sie dient primär als Mittel der Verständigung auch und gerade im Falle sozialer Konflikte. Daher reagieren Rezipienten auch sehr empfindlich mit Renitenz und Reaktanz, wenn sie ihre Souveränität im Verständigunsprozess gefährdet sehen. Die humanistische Forschungsausrichtung ist im Burkartschen Konzept, das auf Jürgen Habermas aufbaut, theoretisch schon eingemeindet. Peter Vitouch war klug genug, als eingefleischter Empiriker die ethische Bereicherung mit aufzunehmen.

Unter diesen Bedingungen war es nicht verwunderlich, dass sich die Lammgasse 8 von einer Außenstelle des Instituts zum Zentrum für Methodeninnovationen und -ausbildung entwickelte. Im Rahmen des Methodenforums fanden neun Konferenzen statt, die schließlich zur Gründung eines Methodenzentrums führten. In nicht einmal vier Jahren wurden unter Beteiligung von Peter Vitouch mehrere Testverfahren u.a. zur Erfassung des Informationsverarbeitungs-Stils, zur Emotionsregulierung und zuletzt ein erster Entwurf zur Messung nationaler Identität entwickelt. Dekan und Rektor haben das Methodenforum und Methodenzentrum nach Kräften unterstützt, aber – so muss man leider heute sagen – zu wenig die damalige Institutsleitung. Zu groß waren wohl die Vorbehalte mancher Kollegen, die auf bestimmte Anwendungsfelder konzentriert waren und sich nur zögerlich auf die Empirisierung der KW einlassen konnten und wollten.

Das hat sich am Publizistik-Institut mittlerweile grundlegend geändert. Man sieht das nicht zuletzt daran, dass auch die einstmals praktizistisch aufgestellten Forschungsfelder PR und Journalismus mit empirischen Untersuchungen mittlerweile  ganz selbstverständlich umgehen. Dies geschieht nun keineswegs in einer Beschränkung auf die Befragung von Kommunikatoren, sondern schließt Rezeptionsprozesse mit ein. Ein beachtliches und eigenwilliges Empirisierungskonzept hat sich bei der Nachfolgerin von Roland Burkart durchgesetzt. Prof. Einwiller und ihr Team verwenden heute unter anderem physiologische Methoden. Das Foto zeigt Jens, einen Mitarbeiter Einwillers bei der Instruktion in EEG-Messungen durch unseren ukrainischen Kooperationspartner Sergii Tukaiev.

Jedes Jahr werden mehr Untersuchungen am Institut zur empirischen Rezeptionsforschung durchgeführt. Der Output an Konferenzauftritten und Publikationen wächst kontinuierlich an. Vielleicht werden die „jungen Wilden“ noch nicht ganz dem Anspruch auf gesellschaftliche Relevanz gerecht, was aber die Methodenkompetenz und Methodenvielfalt betrifft sind die Fortschritte eklatant.

Peter, Du siehst also, die Saat der Empirie aufgegangen! Und gerade die kognitiv-physiologische Rezeptionsforschung ist alles andere als tot. Dazu trägt bei, dass wir in der Währinger Straße ganz im Geiste der Lammgasse Laborräume haben, in denen sowohl Drittmittelforschung als auch lehrbegleitende Forschung und Studien im Rahmen von Magister- und Doktorarbeiten durchgeführt werden. Ohne Deine Verdienste in den Pionier-Tagen wäre das nicht möglich gewesen.

Dies gilt auch für den Bereich der Geschichtsvermittlung, an dessen Begründung Du zusammen mit Rainer Gries und mir mitgewirkt hast. Hier sehe ich einen weiteren Kristallisationspunkt für ein empirisch-kritische und humanistische Kommunikationswissenschaft. Mit dem Thema „medienbasierte Holocaust-Rezeption“ wurden am Institut mittlerweile mehr als 15 Studien durchgeführt, die als gemeinsame Fragestellung die Suche nach Wegen einer kommunikationswissenschaftlich aufgeklärten und gesellschaftlich optimierten Geschichtsvermittlung haben. Die experimentellen Untersuchungen zur Rezeption von Holocaust-Kommunikaten und zur Kommunikation anderer historischer Ereignisse (WKI und Vietnamkrieg, etc.) wurden in 8 Ländern durchgeführt mit einem Aufkommen von weit über 2000 ProbandInnen. Peter, du weißt, was das logistisch und forschungspraktisch bedeutet.

Ich will hier jetzt keine Bilder aus Israel, Ungarn, Russland, der Ukraine, der Türkei oder Vietnam zeigen, die alle mit dem Konzept der kognitiv-physiologischen Rezeptionsforschung beglückt wurden. Nur die internationale Konferenz zur Holocaust-Rezeption möchte ich erwähnen, zu der alle unsere Partner vor wenigen Wochen nach Wien kamen.

Die Tradition der Lammgasse ist mobil und international geworden! Und Wien entwickelt sich zu einer Drehscheibe für internationale Rezeptionsstudien.
Als zusätzlichen Mehrwert bietet das Forschungsfeld der medienbasierten Geschichtsvermittlung eine Möglichkeit, den früheren Identitätskern des Instituts, nämlich die Pressegeschichte und später den historischen Ansatz in der 

Kommunikationswissenschaft zu re-vitalisieren. Mit dem Fokus auf Geschichtsvermittlung rückt der historische Ansatz in der KW von einer gewissen Randständigkeit musealer Betrachtungen stärker ins Zentrum des Fachs. Und das ist nun mal die Rezeptionsforschung als dem grundlegenden Empirisierungsbereich der KW. Es ist wohl kein Zufall, dass der mehrfach totgesagte „historical approach“ am Institut jüngst durch die Zusammenarbeit mit der Zeitgeschichte im Hinblick auf Geschichtsvermittlung eine Renaissance erlebt.

Vielleicht werden Sie sich jetzt fragen. Warum war bislang mit keinem Wort von Medienpsychologie die Rede? Das hat seinen Grund. Ich möchte mit meiner kleinen Geburtstagsrede klarstellen, dass medienpsychologische Untersuchungen unverbrüchlich zur KW gehören und gerade kein eigenes Fach konstituieren.

Im Modell zur Systematik der Kommunikationswissenschaft werden vier methodische Ansätze unterschieden.

• Diachrone Perspektive

• Systemperspektive

• Organisationsanalyse

• Handlungs-/Prozessanalyse

 

Während System- und Organisationsanalyse die strukturellen Rahmenbedingungen untersuchen, sind diachrone Rekonstruktion und Prozessanalyse auf Kommunkationsverläufe fokussiert – rückblickend-historisch oder gegenwartsbezogen nomologisch. Die medienpsychologische Perspektive ist bei der empirisch-nomologischen Pro-zessforschung angesiedelt und trägt neben soziologischen und kulturwissen-schaftlichen Ansätzen zur kritisch-rationalen Empirisierung der KW bei. Eine reine Medienpsychologie ohne KW-Anbindung würde in der Spezialisierung eines Aspekts von Medienkommunikation mit großer Wahrscheinlichkeit untergehen. 

Ein medienpsychologischer Isolationismus schüfe ähnliche Probleme wie der Nationalismus in der politischen Sphäre. Nationalstaaten haben in der Globalisierung ihre volle Berechtigung, solange sie sich anschlussfähig halten für andere Nationen. Die Nationen sind integraler Bestandteil supranationaler Verbände wie der EU und der UNO und nur überlebensfähig als geachtete Mitglieder des internationalen Systems. Wir wissen: Die Akzeptanz supranationaler Einrichtungen ist mit den neuen Abschottungstendenzen und der Popularität von EU-Exit-Argumenten keineswegs selbstverständlich. Die Medienpsychologie darf kein selbstgewähltes Ghetto bilden. Sie gehört unverbrüchlich zu einer Integrativen KW, deren eigene Zukunft von der Verbindung der Organisationsanalyse von Medieninstitutionen und der historischen Rekonstruktion mit der psychologischen, soziologischen und kulturwissenschaftlich angeregten Prozessanalyse von Kommunikation abhängt.

Daher argumentiere ich gegen jede Art des Reduktionismus und Separatismus in der KW. Die Gefahr einer sektiererischen Zersplitterung des Fachs ist durchaus real. Dazu zwei abschließende Bemerkungen.

1) Die medienpsychologische Forschung lieferte durch ihren Methodenimport und die Fokussierung auf Medienrezeption das entscheidende Kettenglied zur Vermeidung praktizistischer Verkürzungen, mit deren Problemen unser Fach von Beginn an zu kämpfen hat. Der gesellschaftliche Rückenwind von Seiten der werbetreibenden Industrie und interessierter Politiker sorgte für Aufmerksamkeit und die großzügige finanzielle Ausstattung von Medienwirkungsstudien. Diese förderten jedoch auch eine perspektivische Verengung in der Betrachtung von Kommunikation, die sich eben nicht auf ökonomische und politische Werbung beschränken lässt, beschränken lassen sollte. Denn das große Interesse und der Einfluss einzelner gesellschaftlicher Gruppen hat die Gewinnung von Grundlagenwissen zur Kommunikation und die Theorienbildung belastet. Und diese sind langfristig für die Nachhaltigkeit des kommunikationswissenschaftlichen Projekts von ausschlaggebender Bedeutung.

2) Umgekehrt darf aber auch keine psychologistische Verkürzung der Kommunikationswissenschaft stattfinden, da dies ebenfalls problematische Folgen hätte – insbesondere im Hinblick auf die Individualisierung der Kommunikation und die Vernachlässigung von Kontextfaktoren wie soziale Gruppe, Gesellschaft und Nation. Auch war und ist eine gewisse ästhetische Blindheit der Psychologie zu beobachten, die etwa in der Mediengewalt-Wirkungsforschung unter dem maßgeblichen Einfluss von Psychologen jahrzehntelang zu Übergeneralisierungen und Forschungsstagnation führte: Mediengewalt erhöht vs. Mediengewalt vermindert die Aggressionsneigung. Es hängt aber von der Art und Weise der Kommunikat-Gestaltung ab, ob das eine oder andere eintritt. Verdienstvoll sind die differenzialpsychologischen Unterscheidungen des Publikums z.B. nach dem Ausprägungsgrad von „Sensation Seeking“ oder dem „Locus of Control“ (in den medienpsychologischen Untersuchungen Vitouchs vielfach als relevant belegt). Ohne Bezug auf die formale Kommunikat-Gestaltung geht aber ein wesentliches Element des Praxisbezugs verloren. Wie sieht eine zukünftig optimierte Darstellungsweise aus? 

Man denke darüber hinaus an die pädagogischen und therapeutischen Anwendungsfelder der Psychologie. Eine unkritische Übernahme in die KW könnte zur Pathologisierung oder zur pädagogischen Bevormundung von Medienkommunikation einladen. Zudem stützen manche werbepsychologischen Konzepte aus der behavioristischen Phase der Psychologie die Instrumentalisierung von Kommunikation jenseits des Verständigungsparadigmas. Wir habe aber schon genug „Kommunikationsexperten“, die in quasi-militärischen Begriffen denken: „Kampagne“, „Zielgruppe“, „strategische Kommunikation“ und die in manchen Anwendungsformen selbst zur Kommunikationshürde werden (z.B. indem sie das Reaktanzrisiko erhöhen).

Strategische Instrumentalisierungen im Rahmen persuasiver Beeinflussungstechniken werden ebenso wie die Pathologisierung und Pädagogisierung des Publikums der Verständigungsfunktion menschlicher Kommunikation nur ungenügend gerecht. Die Folgen einer solchen Engführung wären theoretische Verzerrungen und fast zwangsläufig auch Einbußen an kommunikativem Gelingen. Das ist kein Hirngespinst, sondern ist vielfach geschehen, wenn Psychologen sich unkritisch-manipulatorisch oder umgekehrt pauschalierend medienalarmistisch (manchmal vereint in ein und derselben Person) betätigen und dabei das Differenzierungsgeschäft, nämlich die Unterscheidung zwischen „guter“ und „schlechter“ Kommunikation im Bereich ästhetischer Kommunikat-Gestaltung vernachlässigen. 

Ich erspare mir hier, die Beispiele aufzuzählen. Es war jedenfalls gut, dass Peter Vitouch dem IPKW zugeordnet war. Er ist den Gefahren eines generalisierten Medien-Bashings ebenso wie kruden instrumentellen Kommunikationspraxen stets erfolgreich ausgewichen.

Daher: Peter, wir brauchen Dich und Deine medienpychologische Forschung! Und – wie ich meine – Du brauchst auch uns: die Kommunikationswissenschaft.

Herzlichen Glückwunsch zum 70. Geburtstag!